Im Oktober 1984 erschien zum ersten Mal das „Leipziger Folksblatt“, herausgegeben vom Folkklub Leipzig. Genauer gesagt, die Nummer 1 erschien zum zweiten Mal. Der erste Versuch war im Frühjahr 1984 an der Zensur gescheitert. Wenn man es genau nimmt, dann war dieser zweite Start eigentlich der dritte. Schon im Januar 1981 hatte es ja ein Blatt gleichen Namens gegeben. Jürgen B. Wolff, der damals als Autor, Redakteur und Gestalter involviert war, erinnert sich:
Vorbild Festivalzeitung
In den 1970er und 80er Jahren war das jährlich im Februar in Ostberlin stattfindende Festival des politischen Liedes das hellste aller Highlights im Reigen handgemachter ambitionierter Liedpflege. Es dauerte eine Woche, und jeden Tag gegen 11 Uhr erschien eine neue Nummer der „FZ“, der 16-seitigen Festivalzeitung, in der streckenweise sehr salopp vom Fest berichtet wurde. Die Redaktion residierte im Haus der jungen Talente, sozusagen im Auge des Taifuns, denn alle lebenswichtigen Fäden des Festivals liefen hier zusammen. Deadline war allabendlich 23 Uhr, dann brachte ein Kurier das Klebelayout zur Druckerei des "Neuen Deutschlands", und die Redakteure und Layouter begaben sich zum Ablöschen in die Kellerbar. Wer das eine Woche lang durchhielt, wusste am Morgen nach der Abschlussrevue nicht mehr, in welchem Land er lebte.
Leipziger Folksblatt als Werkstatt-Zeitung
Als wir 1980 mit Folkländer begannen, in Leipzig DDR-offene Folkwerkstätten zu organisieren, sollte es, nach dem Vorbild der FZ, ebenfalls eine Werkstattzeitung geben. 1981 war es dann so weit. Ein griffiger Name – „Leipziger Folksblatt“ – war schnell zur Hand. Geplant waren drei Ausgaben, pro Werkstatttag eine. Da bei Folkländer zwei, zeitweise drei GrafikerInnen, spielten und im Bandumfeld eine Schar von Journalisten und Hobbyschreibern zugange war, stand das Projekt auf zumindest semiprofessionellen Füßen.
Die Druckerei Pöge im Leipziger Osten erbot sich, die Hefte jeweils über Nacht zu drucken, und dank jugendlicher Hartnäckigkeit errangen wir beim Rat der Stadt die unumgängliche Druckgenehmigungsnummer für dreimal 500 Exemplare à 12 Seiten A4. Zweimal – 1981 und 1982 – schafften wir den Marathon, neben allerlei anderen Verpflichtungen und Auftritten die drei „Folksblätter“ zur Druckreife zu bringen und jeweils spätabends von einem Prüfer absegnen zu lassen. Stress vom Feinsten. Rückblickend dürfte es drei Tage lang so gut wie keinen Nachtschlaf gegeben haben.
Leipziger Folksblatt wird Periodikum
1983 gründete sich, mit allerhöchster Billigung, als DDR-Novum der Leipziger Folkklub unter der Aufsicht des Bezirkskabinetts für Kulturarbeit. Das Arbeitspapier sah u.a. die Herausgabe des „Leipziger Folksblatts“ als vierteljährlich erscheinende Vereinszeitung vor. Wieder waren es die üblichen Verdächtigen, denen die Herstellung – diesmal 8 Seiten im A5-Format – oblag. Heft 1 erschien im Frühjahr 1984 und sorgte sofort für Aufregung. Politklitterern missfielen Zungenschläge in einem Interview mit dem Liedermacher Dieter Kalka; das Heft musste, mit neuem Inhalt und ohne Interview, neu gedruckt werden.
Sonderhefte – seltener, dafür dicker
Der Enthusiasmus der Macher wurde damit gleich zu Beginn auf eine harte Probe gestellt, sodass einige Akteure dem Projekt den Rücken kehrten und das vierteljährliche Erscheinen im Sande verlief. In loser Folge entstanden bis 1989 Sonderhefte, u.a. eines mit Tanzanleitungen und eines zum 10-jährigen Jubiläum der Gruppe Folkländer 1986. Erst im Wendewind nahm das „Leipziger Folksblatt“ wieder Fahrt auf und erschien nun, unter der maßgeblichen Redaktion von Jürgen Brehme, regelmäßig bis zur Fusion mit dem Bonner „Folk-Michel“ 1997.