Thomas Friz ist tot | 01.09.23

Von 1974 bis 1986 musizierte Thomas Friz gemeinsam mit Erich Schmeckenbecher als Duo Zupfgeigenhansel. Die Baden-Württemberger gehörten ebenso wie die Hamburger Gruppe Liederjan und Hannes Wader aus Nordrhein-Westfalen zu den einflussreichsten Interpreten des Deutschfolk-Revivals. Am 29. August erlag der Folksänger und -musiker im Alter von 73 Jahren einem Herzinfarkt.

Zupfgeigenhansel 1979 im Ostberliner Liederpark, rechts Thomas Friz (Foto. Thomas Neumann/neumgraf.de)
Zupfgeigenhansel Pfingsten 1979 im Ostberliner "Liederpark", rechts Thomas Friz (Foto. Thomas Neumann/neumgraf.de)

Ab 1972 spielten Fritz und Schmeckenbecher zunächst als Straßenmusiker, später in süddeutschen Folkklubs. Bald folgten Rundfunk- und Fernsehauftritte im Südwestfunk und im Saarländischen Rundfunk. In den 70er und 80er Jahren veröffentliche Zupfgeigenhansel im Dortmunder pläne-Verlag neun Langspielplatten. 1978 erschien dort auch ihr Buch „Es wollt ein Bauer früh aufstehn“ mit 222 Volksliedern. Darunter waren viele, die nicht in den gängigen Liederbüchern enthalten waren. Eine wichtige Quelle war Wolfgang Steinitz‘ Sammlung „Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten“. Das Liederbuch von Zupfgeigenhansel erreichte eine Auflage von über 250.000 Exemplaren. Im Vorwort heißt es:

Mit unserem Buch wollen wir nun kein Museum historischer Volkslieder einrichten; es entstand aus unserer praktischen Arbeit als Volksliedsänger. Wir haben einige Lieder aus vielerlei Varianten und Fassungen neu zusammengestellt, oder, wenn keine Melodien mehr überliefert oder zu finden waren, neue geschrieben. Alle diese Lieder und Texte sind für uns keine leblosen Dokumente. Man kann sie benutzen, ändern oder auch umschreiben, wie das durch die Jahrhunderte bis heute immer wieder gemacht wurde.

Einfluss auch auf die DDR-Folkszene

Obwohl das Liederbuch im DKP-nahen „pläne“-Verlag erschienen war, war es unverständlicherweise in der DDR nicht zu haben, sehr gut verkaufte sich dagegen die 1978 beim volkseigenen Label Eterna zusammengestellte LP „Zupfgeigenhansel - Volkslieder aus drei Jahrhunderten“. Das Repertoire verbreitete sich bald auch in der DDR-Folkszene. Dazu hat sicher auch der Auftrittdes Duos zu Pfingsten 1979 in Ostberlin beigetragen, im „Liederpark“ während des Nationalen Jugendfestivals. 1984 und 1985 wurde Zupfgeigenhansel beim internationalen Festival des politischen Liedes in Ostberlin gefeiert.

Jiddische Lieder und Lyrik-Vertonungen

Seinen größten kommerziellen Erfolg hatte das Duo 1979 mit der LP „’ch hob gehert sogn“, die ausschließlich jiddische Lieder enthält und die Klezmer-Szene in Deutschland nachhaltig beeinflusste. Seit Anfang der 80er Jahre gehörten zum Repertoire mehr und mehr selbstgeschriebene Lieder und Lyrik-Vertonungen. Dieter Süverkrüp und Diether Dehm schrieben Lieder für das Duo. Wieder bekanntgemacht hat Zupfgeigenhansel den fast vergessenen Wiener jüdischen Dichter Theodor Kramer (1897–1958). Thomas Friz dazu 1985 in der SDR-Abendschau:

Volkslieder haben wir Ernst Mosch und Heino nicht überlassen. Und so wollen wir die Dichter auch nicht den grauen Eminenzen der Literaturwissenschaft überlassen, solche Dichter gehören unters Volk.

Solokarriere und Neonazi-Überfall

1986 trennte sich das Duo, und Friz trat nun solo mit jiddischen und deutschen Volksliedprogrammen auf. 1993 folgte sein Kirchenprogramm „Ich steh an deiner Krippen hier“ vor. Mit Volksliedern, Oster- und Passionsprogrammen, mit Widerstandsliedern und mit jiddischen Liedern und Texten war Thomas Friz weiter auf Tonträgern wie auf der Bühne zu hören. Vertont hat er u. a. Texte von Theodor Kramer, Heinrich Hoffmann von Fallersleben und Kurt Tucholsky.

1994 wurde Friz von rechtsradikalen Skinheads so brutal zusammengeschlagen, dass er danach erst mühsam lernen musste, die Hand so zu bewegen, dass er wieder Gitarre spielen konnte. Auch psychisch war er schwer getroffen. Die Kräfte ließen nach.

1996 kam bei Pläne seine CD „Lieb Heimatland, Ade“ heraus, 2001 im Label Conträr Musik seine CD „Endlich“. 2008 erschien unter Mitwirkung des Dresdner Quartetts Pankraz wieder eine CD von ihm mit Liedern und Texten von verfolgten Dichtern der NS-Diktatur, ebenfalls bei Conträr Musik. 2009 stellte sie Thomas Friz gemeinsam mit Pankraz beim Rudolstadt-Festival vor.

2006 erhielt Thomas Friz einen Schallplattenpreis von der Pariser "Académie Charles-Cros" für eine 2-CD-Produktion „Seeds of Peace“, eingespielt mit Folkmusikern aus Belgien, Frankreich und Großbritannien.

Zupfgeigenhansel-Werkschau 2022

2021 begannen Thomas Friz und Erich Schmeckenbecher mehr als 35 Jahre nach ihrer Trennung gemeinsam eine Werkschau zu erarbeiten. 2022 ist sie unter dem Titel „Miteinander: 50 Jahre – 70 Lieder“, erschienen – eine 3er-CD-Box mit vier Booklets.

Die Zupfgeigenhansel-Aufnahme des Antikriegsliedes „Ich bin Soldat, doch bin ich es nicht gerne“, 1976 auf dem Album „Volkslieder I“ erstmals veröffentlicht, wurde nach der digitalen Wiederveröffentlichung 2021 innerhalb eines Jahres allein auf den Streaming-Plattformen Youtube und Spotify mehr als fünf Millionen mal abgerufen.

Erinnerung an Thomas Friz (Video)

https://www.youtube.com/watch?v=JBdB08C2QMc
Zupfgeigenhansel 1985 zum Theodor-Kramer-Programm in der SDR Abendschau

https://www.youtube.com/watch?v=S1SJPUz8yfI
Zupfgeigenhansel live im Laboratorium Stuttgart 27.09.2022: „Andre, die das Land so sehr nicht liebten“ von Theodor Kramer

https://www.youtube.com/watch?v=1fPhD0MXeHw
50 Jahre Zupfgeigenhansel: Das Comeback 2022 (Interview von RegioTV)

https://www.youtube.com/watch?v=Z7u1nBIKolE
Thomas Friz über Thomas Friz (Audio-Slideshow 2016)

https://www.youtube.com/watch?v=5fr0J21hibY
In Kirneck, der einstigen Stammburg des Volkslied-Duos, erinnern sich die Musiker Thomas Friz und Erich Schmeckenbecher nach 30 Jahren an gemeinsame Erlebnisse.