Serbske husle w Budyšinje – sorbische Geigen in Bautzen | 10.03.24

Wie und seit wann wurden die kleine und die große sorbische Geige gespielt? In welcher Gegend? Welche verwandten Instrumente gibt es in Europa? Was ist über Musiker und Instrumentenbauer bekannt? Antwort auf diese Fragen gibt die eben erschienene Publikation des tschechischen Musikwissenschaftlers Petr Ch. Kalina, vorgestellt am 10. März beim 3. „LAB-F“ in Bautzen. Dieser Workshop des Sorbischen Nationalensembles beschäftigte sich erneut mit dem „Kralschen Geigenspielbuch“ aus dem Jahrzehnt vor 1790. Die Handschrift liegt nun auch als Notenbuch vor. Parallel erschien eine CD mit Melodien daraus. Diese wurden variiert, kombiniert und interpretiert durch das Trio Released Sounds um den polnischen Musikethnologen, Multiinstrumentalisten und Komponisten Maciej Rychły.

VON WOLFGANG LEYN

Maciej Rychły beim Workshop im März 2023, hier mit Mitgliedern von Serbska Reja (Foto: Wolfgang Leyn)

Rychły und sein Sohn Mateusz hatten die "LAB-F"-Workshops im Frühjahr 2022 und 2023 geleitet. Nun, im dritten Jahr, fand dieser ohne künstlerische Leitung statt. Wiederum ging es nicht um eine authentische Darbietung der über 200 Jahre alten Melodien, sondern um die Annäherung an sie durch Musiker von heute mit ihren jeweiligen Instrumenten, musikalischen Vorlieben und Musiziererfahrungen.

„Musikalisches Grundbuch“

Das „Kralsche Geigenspielbuch“ ist die älteste Notensammlung der Sorben. Sie enthält 182 Melodien von sorbischen und deutschen Volksliedern aus der Lausitz, Volkstänzen sowie Weisen, die zur Hochzeit gespielt wurden. Die Handschrift stammt aus dem Nachlass des Dorfmusikanten Mikławš Kral (1791-1812) aus Temritz bei Budissin (Bautzen). Er bekam die Notensammlung vermutlich am Ende der Schulzeit zusammen mit einer großen sorbischen Geige geschenkt. Zusammengetragen wurde sie zwischen 1780 und 1790 möglicherweise von einem sorbischen Pfarrer oder Lehrer. Von Kral selbst stammen wohl nur die letzten zwölf Eintragungen.

Jan Raupp, der 1983 den fotomechanischen Nachdruck der Notenhandschrift herausgab, nannte sie „eine Art musikalisches Grundbuch, das die Genres der Volksmusik um Budissin wiedergibt“. Auf Initiative des Sorbischen Nationalensembles wurden die Melodien daraus transkribiert. Intendant Tomas Kreibich-Nawka versprach beim Workshop im März 2023, das „Kralsche Geigenspielbuch“ binnen eines Jahres als gut zu spielendes Notenbuch neu herauszubringen. Er hat Wort gehalten.

Kreative Annäherung jenseits von Folkloristik

Seit anderthalb Jahrzehnten beschäftigt sich Maciej Rychły mit der sorbischen Notenhandschrift. Gemeinsam mit seinem Sohn Mateusz hat er nicht nur die beiden Workshops in Bautzen geleitet. Mit ihm und Elisabeth Seitz musiziert er im Trio Released Sounds. Das hat nun die CD "Auf Lausitzer Wegen" mit 28 Melodien aus dem „Kralschen Geigenspielbuch“ eingespielt, verknüpft zu 13 Stücken und arrangiert u. a. für traditionelle Hirtenflöten, Hackbrett, Stauffer-Gitarre, Mandola, Akkordzither und den kleinen sorbischen Dudelsack Měchawka. Als Gastmusiker aus Bautzen wirkte Tomasz Nawka an der Einspielung mit.

Enthalten seien zwar „durchaus archaische sorbische Klänge“ und „bis heute in der Lausitzer Volksmusik gepflegte charakteristische Motive“, deren Interpretation „sich aber jeglicher Folkloristik verweigert“, schreibt Bosćan Nawka in seiner CD-Rezension für „Serbske Nowiny“. Vielfältige stilistische Einflüsse seien zu erkennen, unterstützt durch „die ungewöhnliche, im Kontext ahistorische Instrumentierung“.

Sorbische Geigen erstmals umfassend untersucht

1993 veröffentlichte Josef Režný seinen verdienstvollen Band über den sorbischen Dudelsack. Drei Jahrzehnte später folgt ihm sein Landsmann, der tschechische Musikwissenschaftler und Slawist Petr Ch. Kalina, mit einer Publikation über die sorbischen Geigen. Beide Typen sind dreisaitige Fiedelinstrumente – die große sorbische Geige aus der katholischen Oberlausitz und die kleine aus der Gegend um Schleife, wo sie im Duo mit dem Dudelsack bei ländlichen Hochzeiten gespielt wurde. Für die Publikation des Sorbischen Instituts hat der Autor erstmals sämtliche bekannten Exemplare in Europas Museen und Privatsammlungen vermessen und dokumentiert, Originale ebenso wie Kopien.

Nicht weniger interessant sind seine Untersuchungen zu Instrumentenbauern und Musikanten, zu Spielweise und Repertoire der beiden nur in der Lausitz vertretenen Volksinstrumente. Dabei unterscheidet er die Phase des traditionellen Musizierens („Musikfolklore“) von der des sorbischen Folklorismus seit Ende des 19. Jahrhunderts („Folkloremusik“).

Fruchtbare Kooperation

Drei Institutionen präsentieren in Bautzen gemeinsam bemerkenswerte Arbeitsergebnisse: Das Sorbische Nationalensemble versammelte in seinem Laboratorium für traditionelle Musik zum dritten Mal Musikerinnen und Musiker, die sich zum eigenen Vergnügen mit dem „Kralschen Geigenspielbuch“ beschäftigten. Das Ensemble brachte außerdem die historische Handschrift als gut spielbare Druckfassung heraus. Die Stiftung für das sorbische Volk legte eine CD mit Melodien daraus vor. Das Sorbische Institut publizierte eine wissenschaftliche Arbeit über die sorbischen Geigen.

Hotowe dźěło so směje – getane Arbeit lacht.

Sorbisches Sprichwort

Jurij Mencl mit sorbischer Geige und musizierenden Mädchen in Tracht in Crostwitz, 1950 (Foto: Kurt Heine)
Jurij Mencl mit sorbischer Geige und musizierenden Mädchen in Tracht in Crostwitz, 1950 (Foto: Kurt Heine)

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Hörbeispiele aus dem "Kralschen Geigenspielbuch"

„Zeschli lubka moja bucz“, Kralsches Geigenspielbuch, gespielt von Serbska Reja (2016) https://www.youtube.com/watch?v=GsUobiNVvB4

„Jelängerjelieber“, Kralsches Geigenspielbuch, Nr. 59, gespielt von Barnaby Walters aus England auf der Drehleier (2017) https://www.youtube.com/watch?v=LMg7mDRKjCk

„Churfürst zu Sachsen, König von Polen“, deutsches Volkslied, Kralsches Geigenspielbuch, gespielt von Kristina Künzel auf dem Markt-Dudelsack (2016) https://www.youtube.com/watch?v=ssPAE1U9kWg

"Poicže moje holcžki schitke kemni" ("Kommt meine Mädels alle zu mir"), Kralsches Geigenspielbuch, Nr. 75, gespielt von Ralf Gehler auf der Schäferpfeife (2016) https://www.youtube.com/watch?v=pWTV_6dauuw

„Ribach“, sorbisches Tanzlied, Kralsches Geigenspielbuch, Nr. 22, gespielt von Matthias Branschke auf der Säckpipa (2016) https://www.youtube.com/watch?v=KbCulZa24vc

Wendische Täntze (die Unaussprechlichen), Kralsches Geigenspielbuch, Nr. 20 und Nr. 18, gespielt von Kristina Künzel auf der Schäferpfeife (2016) https://www.youtube.com/watch?v=fN0fukCNd_I

„Ach ty leßne riane lubo moj, kaiki ßy ty jara schikowany”, Kralsches Geigenspielbuch, Nr. 39, gespielt von Björn Kaidel auf der Nyckelharpa (2017) https://www.youtube.com/watch?v=JzsQ8566ZNI

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