Angesichts von Russlands Überfall auf die Ukraine empfehlen wir gemeinsam mit der Gruppe Die Grenzgänger aus Bremen ein Friedenslied. Aufgezeichnet wurde das schlichte, schöne Volkslied am Anfang des 20. Jahrhunderts in Ostpreußen. Seit 1918 deutschlandweit bekannt, galt es lange als litauisch und hat Parallelen in einem russischen Volkslied und Pete Seegers „Where have all the flowers gone“. (Autor: Wolfgang Leyn)
Doch vergessen wir nicht: Die Ernteausfälle in der Ukraine und in Russland verschärfen den Hunger im Nahen Osten und in Nordafrika. Und die Kriege in Äthiopien, in Syrien, in Jemen oder in Mali sind nicht weniger grausam als jener im Osten Europas. Verlierer sind fast alle Menschen auf dieser Erde. Gewinner sind allein die „Meister des Krieges“, wie sie Bob Dylan 1963 in seinem zornigen Lied nannte. Hans-Eckardt Wenzel hat es 2013 nachgedichtet. Die „Meister des Krieges“ sitzen in Regierungen und Generalstäben, in den Aufsichtsräten und Aktionärsversammlungen der Waffenfabriken. Der Tod ist ihr Geschäft. Gerade haben NATO und EU das größte Aufrüstungsprogramm seit 1945 beschlossen. Zugleich musste das UNO-Welternährungsprogramm aus Geldmangel die Essens-Rationen für acht Millionen Jemeniten um die Hälfte zu kürzen.
Was können wir tun? Solidarisch sein mit den leidenden Menschen und uns einsetzen für ein Ende des Krieges, der Kriege – auch musikalisch. Mit dem Lied „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ eröffneten Die Grenzgänger aus Bremen vor wenigen Tagen ein Benefizkonzert für die Menschen in der Ukraine. Michael Zachcial schreibt dazu:
„Das ist eines der schönsten deutschen Volkslieder, das ich kenne, und es enthält eine ganz klare Botschaft: Der Krieg tötet alles. Die Birken können nicht grünen, die Menschen nicht lieben, die jungen Männer werden alle sterben. Haltet diese Erinnerung wach! Für die nächste Generation, singt, was geschah, damit es nie wieder geschieht.“
NOTEN UND TEXT
HÖRBEISPIELE
https://www.youtube.com/watch?v=-J5juA0J9e0
Hannes Wader (LP „Volkssänger“, 1975)
https://www.youtube.com/watch?v=ap2Xpr-eh18
Zupfgeigenhansel (LP „Kein schöner Land“, 1983)
https://www.youtube.com/watch?v=_1dXXdPJ1ms
Grenzgänger Bremen (CD „Maikäfer flieg“, 2017)
https://www.youtube.com/watch?v=3ZWgLwUe17Q
Trio Rosenrot (CD “Es fiel ein Reif”, 2017)
https://www.youtube.com/watch?v=V_dr6lBkxew
Folklang (Aufnahme mit 100 Musikern aus 26 Ländern, Tübingen, Juni 2018)
https://www.youtube.com/watch?v=tL7pGPL2z2U
Uli Bögershausen (instrumental, CD „Deutsche Volkslieder für Fingerstyle Guitar“)
LIEDGESCHICHTE
Wer das deutsch-deutsche Folkrevival der 70er Jahre miterlebte, hat sicher noch die Live-Aufnahme mit Hannes Wader im Ohr. „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ wurde auch von Zupfgeigenhansel gesungen. Lange Zeit galt es als litauisches Lied. Der ostpreußische Volkskundler Karl Plenzat veröffentlichte es 1918 in seinem Buch „Der Liederschrein“ und machte es dadurch überregional bekannt. Sein Vater habe das Lied ins Deutsche übersetzt, teilte er mit. Doch heute weiß man, dass der deutsche Text schon 1908 durch den Lehrer Johann Patock in der Nähe von Danzig aufgezeichnet wurde. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Lied an der Küste zwischen Pommern und Ostpreußen gesungen. Die Herkunft der Melodie ist unbekannt.
Die Natursymbolik im Lied und das Trauma vieler Kriegsheimkehrer nach 1918 begünstigten die Verbreitung in den 20er Jahren. „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ fand damals Eingang in die Liederbücher der bündischen Jugend, der Pfadfinder und Turner. Auch in den Anfangsjahren der Nazizeit wurde es noch gesungen, später wurde es still um das Lied. Nach dem zweiten, noch verheerenderen Weltkrieg wurde es wieder häufiger angestimmt, in beiden deutschen Staaten, von Schulkindern, Jugendgruppen und Chören, ebenso von Menschen, die ihre Heimat in Ostpreußen verloren hatten. In den 80er Jahren erklang es auf Demonstrationen und Kundgebungen der Friedensbewegung gegen die atomare NATO-Nachrüstung.
Sag mir, wo die Blumen sind
1955 schrieb Pete Seeger sein Antikriegslied „Where Have All the Flowers Gone“. 1962, mitten im Kalten Krieg, sang es Marlene Dietrich erstmals auf Deutsch. „Sag mir, wo die Blumen sind“, eine Nachdichtung von Max Colpet. Die inhaltliche und formale Nähe zum Lied von den wilden Schwänen ist offensichtlich. Doch die Anregung zu seinem Lied fand Pete Seeger nach eigener Aussage woanders, in einem Volkslied russischer Kosaken, das Michail Scholochow 1934 in seinem Roman „Der Stille Don“ zitierte:
А где ж гуси? | Und wo sind die Gänse? |
Frühere Lied-Empfehlungen:
Mai 2021: "Wie schön blüht uns der Maien", empfohlen von Matthias "Kies" Kießling (Ex-Wacholder, Cottbus)
Juni 2021: "Bürgerlied" von 1845 mit Text von 2020, empfohlen von Florian Kirner (Prinz Chaos II.)
Juli/August 2021: "Die Flößer", empfohlen vom Duo Unfolkkommen (Dresden)
September 2021: „Wenn ich einmal der Herrgott wär“, empfohlen von Scarlett O' (Ex-Wacholder, Cottbus)
Dezember 2021: Maria durch ein Dornwald ging, empfohlen von Unfolkkommen (Dresden)
Januar 2022: Es saß ein klein wild Vögelein - empfohlen von Heidi Ruppel (Ex-Brummtopf und -Saitensprung, Erfurt)
Februar 2022: Der Mond ist aufgegangen - empfohlen von Max Heckel (Nobody knows, Tangermünde)
März 2022: So treiben wir den Winter aus - empfohlen von Erledanz (Ansbach)