Lied-Empfehlung September: „Wenn ich einmal der Herrgott wär“

Passend zum Weltfriedenstag am 1. September empfehlen wir ein historisches Antikriegslied aus dem „Sozialdemokratischen Liederbuch“ von 1889. Erich Schmeckenbecher von Zupfgeigenhansel hat es 1978 neu vertont. Gesungen wurde es auch in der DDR-Folkszene, Zum Beispiel von Wacholder. Hier sind Text, Noten, Links zu Hörbeispielen und Liedgeschichte.
(Autor: Wolfgang Leyn)

Zupfgeigenhansel (Erich Schmeckenbecher und Thomas Friz, von links) Pfingsten 1979 beim "Liederpark" in Ostberlin (Foto Thomas Neumann/neumgraf.de)

Wer in der DDR aufgewachsen ist, kennt den Weltfriedenstag. Immer am 1. September begann das neue Schuljahr. Der Tag erinnert an den Überfall der Wehrmacht auf Polen, mit dem 1939 der Zweite Weltkrieg begann. Im Deutschland von heute ist der Weltfriedenstag allenfalls noch in den Sonntagsreden von Politikern präsent, in der öffentlichen Wahrnehmung dagegen kaum. Die deutsche Sozialdemokratie war einst eine Antikriegspartei. Die Rede ist hier nicht von Willi Brandts Entspannungspolitik der 1970er-Jahre, sondern von der Zeit zwischen 1878 und 1890, als die Partei im Deutschen Kaiserreich verboten war. Dafür spricht das Lied, das wir heute zum Singen empfehlen – „Wenn ich einmal der Herrgott wär“. Thomas Friz und Erich Schmeckenbecher, das Duo Zupfgeigenhansel, machten es 1978 wieder bekannt. In ihrem Volksliederbuch „Es wollt ein Bauer früh aufstehn“ schrieben sie dazu:

„Gefunden haben wir dieses Lied, eine Parodie auf ein weinseliges Trinklied, in dem 1889 in London erschienenen ‚Sozialdemokratischen Liederbuch‘. Das Liederbuch konnte, wie viele andere demokratische Druckschriften, nur im Ausland erscheinen (Sozialisten-Gesetz) und fand illegal seien Weg nach Deutschland.“

„Wenn ich einmal der Herrgott wär“ in Erich Schmeckenbechers Vertonung findet sich auf Zupfgeigenhansels Langspielplatte „Volkslieder III“ von 1978. Auch in der DDR wurde das Lied gesungen. Im Juni 1982 erklang es beim 5. Berliner Folklorefest in der Veranstaltung „Lieder der Völker gegen den Krieg“. Die geplante Aufstellung atomarer Mittelstreckenwaffen beider Supermächte in Europa ließ damals die Gefahr eines Nuklearkrieges sehr real werden. Dagegen setzte sich blockübergreifend die Friedensbewegung zur Wehr.

„Wenn ich einmal der Herrgott wär“ sang Wacholder aus Cottbus im Februar 1984 beim Festival des politischen Liedes, jenem einwöchigen internationalen Treffen fortschrittlicher Sänger und Musiker aus aller Welt in der DDR-Hauptstadt.

Scarlett O' (Foto: Andreas Prinz)

Scarlett Seeboldt, die Solistin dieser Aufnahme, tritt seit 1998 unter dem Künstlernamen Scarlett O‘ auf. Seitdem erarbeitete sie mehrere preisgekrönte Liedprogramme. Die studierte Bauingenieurin errichtete 2015 in ihrem Wohnort Garzau-Garzin (Landkreis Märkisch-Oderland) ein Haus mitsamt Bühne(n). Hier ihre Gedanken zum Lied „Wenn ich einmal der Herrgott wär“:

„Es gibt Lieder, die nach Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten leider immer noch und immer wieder aktuell bleiben. Dieses hier ist so eins. Einerseits ganz lustig und voll Hoffnung zu singen, andererseits, in fortgeschrittenem Alter zurückblickend die Erkenntnis, dass der Mensch nicht lernfähig ist. Und der Herrgott? ... naja! Und trotzdem – bleibt stark!“

NOTEN

TEXT

Wenn ich einmal der Herrgott wär, mein Erstes wäre das:
Ich nähme meine Allmacht her, dass ich die Lumpen fass.
Und käme einer hin zu mir und sagt, "Herr, gib mir Sieg!"
Na wart‘ mein Jung, der Knüppel hier nimmt Dir die Lust zum Sieg!

Wenn ich einmal der Herrgott wär, mein Zweites wäre das:
Ich nähme meine Allmacht her und täte, wisst ihr was:
Wenn ich ein Protzen fände wo, der quält Knecht und Gesell,
Ich wäre über Maßen froh, zu klopfen ihm sein Fell.

Wenn ich einmal der Herrgott wär, mein Drittes wäre das:
Ich nähme meine Allmacht her und machte mir den Spaß:
Wenn so ein Junker aufbegehrt, ach denkt euch, welch ein Schreck,
er läge, wo er hingehört, pardauz sogleich im Dreck.

Wenn ich einmal der Herrgott wär, ich will‘s nun mal nicht sein.
Ich will nicht Knecht, ich will nicht Herr, doch Gleicher will ich sein.
Ich will, dass hier auf Erden gilt die Freiheit und das Recht,
dass Gutes man für gut auch hält und das, was schlecht, als schlecht.

GESCHICHTE

Der Ursprung des Liedes ist ein weinseliges Trinklied:

„Wenn ich einmal der Herrgott wär,
mein Erstes wäre das:
Ich nähme meine Allmacht her
und schüf‘ ein großes Fass;
ein Fass, so groß als wie die Welt,
ein Meer göss‘ ich hinein,
von einem bis zum andern Belt,
vom allerbesten Wein.“

Die Verse schrieb 1841 der aus Thüringen stammende Lehrer, Schriftsteller und Verleger Eduard Amthor (1820-1884). 1853 vertonte sie der Wiener Theaterkapellmeister Karl Binder (1816-1860). Unter der Überschrift "Zechers Wünsche" 1854 erstmals gedruckt, fand das Lied bald Aufnahme in die Kommersbücher von Studentenverbindungen, wurde von Turnern und jugendbewegten Wandervögeln gesungen, wenngleich es nicht in deren wichtigsten Liederbuch steht, dem „Zupfgeigenhansl“ (ab 1909). Bis heute ist es in Sammlungen von Stimmungs- und Trinkliedern zu finden.

1. Strophe der Antikriegs-Fassung des Liedes (Autor unbekannt)

Von wem die Umdichtung stammt, die 1889 in London mit über 60 weiteren „revolutionären Gesängen“ im Sozialdemokratischen Liederbuch abgedruckt wurde, ist nicht bekannt. Womöglich wollte der Autor anonym bleiben, um nicht in Deutschland wegen „gemeingefährlicher Bestrebungen“ verfolgt zu werden. Erst 1890 fiel ja Bismarcks „Sozialisten-Gesetz“.

Es gibt noch eine dritte Textfassung. Karl Valentin, der geniale Brettl-Künstler aus München, schrieb sie 1942, im dritten Kriegsjahr, als alliierte Bomben nun auch deutsche Großstädte trafen. Aus Valentins Zeilen spricht keine Spur von Weinseligkeit, auch kein selbstbewusstes „Wenn ich nur könnte, wie ich wollte!“, stattdessen Zorn und ohnmächtige Verzweiflung über den Zustand der Welt:

„Wenn ich einmal der Herrgott wär, / Ich glaub, ich käm‘ in Wut, / weil diese Menschheit auf der Welt / grad tut, was sie gern tut ... Ich schaute nicht mehr lange zu, / wenn’s miteinander raufen. / Ich ließe eine Sintflut los / und ließ‘ sie all‘ ersaufen.“

Biermösl Blosn singen Valentins Verse zur Melodie des Wiener „Hobelliedes“.

Frühere Lied-Empfehlungen

Mai 2021: "Wie schön blüht uns der Maien", empfohlen von Matthias "Kies" Kießling (Ex-Wacholder)
Juni 2021: "Bürgerlied" von 1845 mit Text von 2020, empfohlen von Florian Kirner (Prinz Chaos II.)
Juli/August 2021: "Die Flößer", empfohlen vom Duo Folkkommen (Dresden)