Dieses zärtliche Schlummerlied ist eigentlich ein Fake. Anton Wilhelm von Zuccalmaglio dichtete es 1840 auf die Melodie eines geistlichen Liedes und gab es als von ihm aufgezeichnetes Volkslied aus. Das tat aber seiner Beliebtheit keinen Abbruch. Johannes Brahms bearbeitete als Klavierlied und widmete es den Kindern Clara und Robert Schumanns. Es steht in zahlreichen Liederbüchern und wird erfreulicherweise auch gesungen. Ich habe es als kleiner Junge zum ersten Mal von meiner Mutter gehört. Auch Michael Möllers aus Hannover von Dahlhoff - die Band mag das Lied und findet es wichtig, dass Eltern ihre Kinder abends in den Schlaf singen.
Autor: Wolfgang Leyn
„Das In-den-Schlaf-Singen war und ist der erste entscheidende Erziehungsakt, gibt dem Kind Orientierung, Nähe und Geborgenheit. Meinen beiden Töchtern habe ich regelmäßig abends vorgesungen, denn auch der Papa darf und kann das! Je älter sie wurden, desto öfter kam die Forderung nach einem zweiten, dritten Lied (meist mit Gitarre begleitet), so dass regelrechte Kleinkonzerte den Einschlafpunkt immer weiter hinauszögerten (raffiniert machten die beiden das). Nicht selten schlief Papa zuerst ein, das Instrument in der Hand. Ergebnis: Beide singen heute hervorragend, auch die Enkelkinder, weil meine Töchter denen ebenfalls eifrig vorsangen. Ein Schlaflied muss nicht unbedingt inhaltlich auch ein solches sein. Es reicht, wenn es ruhig und einfach ist. […] Ich glaube nicht, dass sich das Schlaflied durch CDs, mechanische Glockenspiele o. ä. ersetzten lässt. Eltern sollten versuchen, sich ein kleines, einfaches Repertoire zu erarbeiten.“
TEXT UND NOTEN
Die Blümelein, sie schlafen
schon längst im Mondenschein,
Sie nicken mit den Köpfen auf ihren Stengelein.
Es rüttelt sich der Blütenbaum,
er säuselt wie im Traum.
Schlafe, schlafe, schlaf du, mein Kindelein!
Die Vögelein, sie sangen
so süß im Sonnenschein,
sie sind zur Ruh‘ gegangen
in ihre Nestlein klein.
Das Heimchen in dem Ährengrund
Es tut allein sich kund.
Schlafe, schlafe, schlafe du, mein Kindelein!
Sandmännchen kommt geschlichen
und schaut ins Fensterlein,
ob irgend noch ein Liebchen
nicht mag zu Bette sein.
Und wo es noch ein Kindlein fand
streut es ins Aug‘ ihm Sand.
Schlafe, schlafe, schlaf du, mein Kindelein!
HÖRBEISPIELE
https://www.youtube.com/watch?v=5XtLNgb_YsA
Michael Möllers, Gesang und Gitarre
https://www.youtube.com/watch?v=dn8XoQJBI84
Psycho-Chor der Uni Jena, Satz: Rolf Lukowsky (2015)
https://www.youtube.com/watch?v=jzEXbUUMIJE
Angelika Kirchschlager, Piano: Helmut Deutsch (2003)
https://www.youtube.com/watch?v=z3b8ktU9v4o
Wiener Sängerknaben (2008)
https://www.youtube.com/watch?v=ainXjfNvRBs
Lotte Lehmann (1932)
https://www.youtube.com/watch?v=H7PJJUqSZ4A
Comedian Harmonists (Arr.: Harry Frommermann, 30er Jahre)
https://www.youtube.com/watch?v=r5b0D9jmrdI
Mondbande (Larissa Tepelmann und Melissa Geray, Schülerinnen der Louis-Braille-Schule in Düren, 2015)
https://www.youtube.com/watch?v=V0WmCurlyHE
Ulli Bögershausen, Gitarre instrumental (2014)
https://www.youtube.com/watch?v=HZdPQobJBMk
Ravish Radish, Hümmelchen (2020)
https://www.youtube.com/watch?v=nFbAjZTmOdE
Orgelallerlei - Kirchenmusik aus Lübeck (2019)
LIEDGESCHICHTE
Erstmals veröffentlich wurde das Lied unter dem Titel "Sandmännchen" 1840 von Anton Wilhelm von Zuccalmaglio (1803–1869) in der gemeinsam mit August Kretzschmer herausgegebenen Sammlung "Deutsche Volkslieder mit ihren Originalweisen". Den Text hatte Zuccalmaglio jedoch selbst geschrieben, auf die leicht veränderte Melodie des Weihnachtsliedes "Zu Bethlehem geboren", das den neugeborenen Gottessohn besingt. Abgedruckt wurde es 1638 in einem katholischen Gesangbuch des Frühbarock und avancierte im 19. Jahrhundert zum geistlichen Volkslied. Die Melodie stammt ursprünglich aus Frankreich, von einem frivolen Chanson, das dort um 1600 populär war.
„Die Blümelein, sie schlafen“ ist eines der ersten Lieder, in denen der Sandmann auftaucht, der den Kindern Sand in die Augen streut und ihnen Träume bringt. Nicht als Kinderschreck wie in E.T.A. Hoffmanns Schauernovelle von 1816, sondern als freundlicher Kobold, als niedliches „Sandmännchen“. Die Trickfilmfigur im Fernseh-Abendgruß, die Kindern den Traumsand bringt, ab 1959 im DDR-Fernsehen und parallel auch in der ARD, knüpft an das Lied an.
Frühere Lied-Empfehlungen:
Mai 2021: "Wie schön blüht uns der Maien", empfohlen von Matthias "Kies" Kießling (Ex-Wacholder)
Juni 2021: "Bürgerlied" von 1845 mit Text von 2020, empfohlen von Florian Kirner (Prinz Chaos II.)
Juli/August 2021: "Die Flößer", empfohlen vom Duo Unfolkkommen (Dresden)
September 2021: „Wenn ich einmal der Herrgott wär“, empfohlen von Scarlett O' (Ex-Wacholder)
Dezember 2021: Maria durch ein Dornwald ging, empfohlen von Unfolkkommen (Dresden)
Januar 2022: Es saß ein klein wild Vögelein - empfohlen von Heidi Ruppel (Ex-Brummtopf und -Saitensprung)
Februar 2022: Der Mond ist aufgegangen - empfohlen von Max Heckel (Nobody knows, Tangermünde)
März 2022: So treiben wir den Winter aus, empfohlen vom Duo Erledanz (Ansbach)
April 2022: Zogen einst fünf wilde Schwäne, empfohlen von Die Grenzgänger (Bremen)
Mai 2022: Frühlingszeit, machst uns das Herz so weit, empfohlen von Wolfgang Leyn (Leipzig)
Juni 2022: Es ging ein wacker Mädchen, empfohlen von Gudrun Walther (Deitsch)
Juli 2022: Studentenlob, empfohlen von Vivien Zeller (Duo TradTöchter, Berlin)
August 2022: Frisch auf ins weite Feld, empfohlen von Jürgen B. Wolff (Folkländer)
September 2022: Ein Spielmann ist aus Franken kommen, empfohlen von Gabi Martin (Ex-Windbeutel Berlin)
Oktober 2022: Autumn comes (Herbstzeit naht), empfohlen von Wolfgang Leyn
November 2022: Und da nehm ich meine Büchse, empfohlen von Nico Schneider (Hüsch)
Dezember 2022: O Tannenbaum, empfohlen von Wolfgang Leyn (Leipzig)