Lied-Empfehlung : Ach, bittrer Winter | 17.02.24

Winterstimmung (Foto: Wolfgang Leyn)
Winterstimmung (Foto: Wolfgang Leyn)

Der Januar 2024 war der wärmste seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen. Unseren Vorfahren brachte der Winter oft bittere Kälte, erst recht in der sogenannten „kleinen Eiszeit“ vom Ende des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Aus dieser Zeit stammt das Lied "Ach, bittrer Winter", die Melodie aus dem Jahr 1610, der Text von 1582.

WOLFGANG LEYN

Wintersport ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Bis dahin dienten Skier und Schlittschuhe der Fortbewegung auf Schnee und Eis, Schlitten waren Transportmittel. Ärmere Menschen litten im Winter häufig Not. Es mangelte ihnen an Feuerholz, warmer Kleidung und Nahrung. Eisige Kälte drang durch Ritzen an Türen und Fenstern. Selbst in den Burgen und Schlössern war es im Winter selten behaglich warm. Rußende Öllampen oder Kienspäne brachten während der dunklen Jahreszeit etwas Licht in Häuser und Hütten. Die teuren Bienenwachskerzen blieben der Kirche und der reichen Oberschicht vorbehalten. Das alles verstärkte die Sehnsucht der Menschen nach Wärme und Helligkeit, nach dem Wiedererwachen der Natur mit Blumen und dem Gesang der Vögel. Dieses Gefühl ist auch uns nicht fremd, die wir nicht unter bitterer Kälte leiden müssen, in einer Wohnung mit Zentralheizung, Verbundfenstern und elektrischem Licht. Das macht das Lied wohl so beliebt, wie die zahlreichen, sehr unterschiedlichen Hörbeispiele zeigen. Die Harfen-Virtuosin Merit Zloch sagt über „Ach, bittrer Winter“:

Eine meiner Lieblingsmelodien, die mich begleitet, seit ich Musik mache. Das im 17. Jahrhundert erstmals aufgezeichnete Lied beschreibt – wie ich finde sehr atmosphärisch – die eisige und stille Seite des Winters.

Ich lernte das Lied um 1970 im Schulchor der Leibniz-EOS meiner Heimatstadt Leipzig kennen, mit einem schönen dreistimmigen Chorsatz von Hans Chemin-Petit. Zu finden ist er in „Ringsum erwachen Lieder“ (Verlag Volk und Wissen, Berlin 1956).

NOTEN

TEXT

Ach, bittrer Winter, wie bist du kalt!
Du hast entlaubet den grünen Wald.
Du hast verblüht die Blümlein auf der Heiden.

Die bunten Blumen sind worden fahl,
entflogen ist uns Frau Nachtigall!
Sie ist entflogen, wann wird sie wieder singen?

HÖRBEISPIELE

Toni Geiling, ergänzt um eigene 3. Strophe (2005)
https://www.youtube.com/watch?v=sQhzWK7mefg

Eva, Eric und der Schneeflöckchen Chor (2008)
https://www.youtube.com/watch?v=PNO5EYrEl5Y

Broom Bezzums, mit überlieferter 3. Strophe (2012)
https://www.youtube.com/watch?v=fm1yMvfu35E

Nobody Knows, mit überlieferter 3. Strophe (2013)
https://www.youtube.com/watch?v=qSiBw3OY-P0

Lautten Compagney Berlin (2023)
https://www.youtube.com/watch?v=75nDwqaI2tU

Academy Singers, gemischter Chor aus Oberösterreich (2012)
https://www.youtube.com/watch?v=2_Z2DVzcRUs

Die Spielleut (vor 2006)
https://www.youtube.com/watch?v=R7nuEFF6aoo

Herzgetöne (2022)
https://www.youtube.com/watch?v=cuN5juGzfpQ

Rika Tjakea & Mark Hertzer, plattdeutsche Textfassung („O sore Winter“), jazzige Begleitung (2012)
https://www.youtube.com/watch?v=ICwqr1t18rQ

Foyal (verbunden mit „So treiben wir den Winter aus“), 2020
https://www.youtube.com/watch?v=un5pOJyPWxY

Kerstin Blodig & Ian Melrose, in Verbindung mit „Leise rieselt der Schnee“ (2017)
https://www.youtube.com/watch?v=pI_F2zhgnXw

Fabienne Kirschke, Drehleier und Gesang (2022)
https://www.youtube.com/watch?v=oQ_B1iLRjVw

instrumental: Merit Zloch, Harfe; Laurenz Schiffermüller, Perkussion (2016)
https://www.youtube.com/watch?v=c-1wEy_bUqc

instrumental: Vivien Zeller, Geige; Matthias Branschke, Dudelsack (2020)
https://www.youtube.com/watch?v=ys9woK5wwR4

instrumental: Damian Clarke, Cliff Eastabrook (England), Dulcimer, Drehleier, keltische Harfe (2015)
https://www.youtube.com/watch?v=no8o7vo9ncc

instrumental: Manuael Glondys (Uni Regensburg), Klavier, Text zum Mitsingen (2020)
https://www.youtube.com/watch?v=j-laNSuYg6s

instrumental: Stephan Noel Lang, Piano (2020)
https://www.youtube.com/watch?v=FKiGdCtiY4g

instrumental: Rainer Schulz, Orgelbearbeitung (1972/2022)
https://www.youtube.com/watch?v=k8OKu5ZTPTM

instrumental: Marcelo Sabioncello, Charango, Flöte (2023)
https://www.youtube.com/watch?v=hOgrh8AtaA0

Regina Büchner und Andreas Scheib (Duo Eigenart), jazzige Begleitung mit Saxophon und Gitarre (2015)
https://www.youtube.com/watch?v=Cv-o1IZZpSk

LIEDGESCHICHTE

Das kleine traurige Lied über die kalte, dunkle Jahreszeit ohne Blumen und den Gesang der Vögel war ursprünglich ein Liebeslied. Der bitterkalte Winter stand darin als Metapher für die Trennung vom Geliebten. Im „Ambraser Liederbuch“ von 1582 hat es sechs Strophen. Noch im „Deutschen Liederhort“ von Erk/Böhme (Leipzig, 1893-94) steht es als Liebeslied:

Heute werden meist nur die beiden ersten Strophen gesungen. Die Melodie in Verbindung mit einem ähnlichen Text steht in der handschriftlichen Liedersammlung des Benediktinerpaters und Chordirektors Johannes Werlin. Dessen sechsbändige Liederhandschrift, verfasst 1646-48 im Kloster Seeon am Chiemsee, ist eine der wichtigsten Quellen für das deutsche Lied des Frühbarocks. Von dort kennen wir auch „Es geht ein dunkle Wolk‘ herein“ und „Ich bin ein freier Bauernknecht“.

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