Deutschfolk-Festival Nummer zwei – ein Rückblick | 27.09.22

Festivalgastgeber Familie Gerstenberg: René Pütsch, Thomas Strauch und Marcus Fabian (von links)

Nach der Premiere im thüringischen Jena 2021 war Ende September Frankfurt/Oder in Brandenburg Schauplatz des nunmehr zweiten Festivals der DeutschFolk-Initiative von Profolk. Im Konzert, bei Workshops und Sessions in der Kulturmanufaktur Gerstenberg erklangen Balladen und Tanzstücke, jahrhundertealt oder neu geschrieben. Hier ein Rückblick in Text und Bild.

Von Wolfgang Leyn

Hunderte begeisterte Fans feierten die Künstler auf der Bühne, klatschten, trampelten, pfiffen und schrien. – Nein, all das gab es nicht bei diesem 2. Deutschfolk-Festival in Frankfurt an der Oder. Wer dabei war, erlebte ein kleines, sehr persönliches Treffen, ähnlich wie in den späten 70ern die Festivals und Werkstätten der DDR-Folkszene. Gastspiele gaben vom 22.-24. September Bands und Solisten aus Berlin, Jena, Dresden, Leipzig, Hannover, Mühlhausen und Frankfurt/Oder. Die meisten von ihnen kannten einander schon vorher. Zu hören, wie sich die Kollegen traditionelle Lieder und Tänze zu eigen machen, wie sie daran anknüpfend Neues schaffen, das war damals und ist heute nicht weniger wichtig, als sich vor Publikum zu präsentieren.

Beim Workshop Ensemblespiel (Foto: Wolfgang Leyn)

Gleiches galt für das gemeinsame Singen und Musizieren tagsüber während der Workshops und bei den nächtlichen Sessions. Großer Unterschied zu früher: Sowohl die Musikinstrumente als auch die Instrumentenbeherrschung sind heute um ein Vielfaches besser. Der Spielfreude tut das keinen Abbruch, im Gegenteil. Bewährt hat sich bei diesem zweiten Festival mit dem Fokus auf Deutschfolk die Einführung einer „offenen Bühne“ zusätzlich zu den langfristig geplanten Gastspielen. Dadurch hat sich das Spektrum der Darbietungen erweitert, aufgetreten sind allerdings keine Nachwuchskünstler, sondern gestandene Interpreten.

Zweieinhalb Tage Musik – was bleibt?

Michael Möllers und Tanja Bott aus Hannover (Foto: Wolfgang Leyn)

Im behaglichen Ambiente der Kulturmanufaktur, bei angenehmem Frühherbstwetter auf der Gartenbühne vorm Haus und im benachbarten „Theater des Lachens“ habe ich mich gut aufgehoben gefühlt. Was von den vielen Eindrücken bleibt mir Gedächtnis? Ganz sicher Wolfgang Meyerings melancholische Erinnerung an „De Appelboom“, eine Kneipe aus seiner Jugendzeit in Emden, gesungen im heimatlichen Friesisch, ebenso ein vogtländisches Runda übers Saufen, vorgetragen von Doc Fritz mit jazziger Begleitung durch Land Über, Waldzitherpunks wilde Mischung von Liedern über (weibliches) Begehren und (soziales) Aufbegehren. Beim Lied von den Königskindern, gesungen von Michael Möllers im Münsterländer Platt, wurde mir bewusst, wie sehr Verse im Dialekt oft durch die Übertragung ins Hochdeutsche verlieren. Michael und Tanja überraschten außerdem mit einer schottischen Version des norddeutschen Hits „Vetter Michel“ aus dem 18. Jahrhundert.

Die Trad Töchter überzeugten durch meisterhaftes Geigenspiel ebenso wie durch den unangestrengten, ganz natürlichen weiblichen Blick auf das Volksliederbe. Ko Kokott und Christian Georgi boten ein Programm mit selbstvertonten alten und neuen Balladen, virtuos begleitet auf diversen Gitarren und Blasinstrumenten. Last but not least fällt mir die gastgebende Familie Gerstenberg ein, mit schönen traditionellen und neukomponierten Tanzmelodien, zum Tanzen genauso gut geeignet wie zum Zuhören.

Thomas Strauch mit Peggy Luck aus Leipzig (Foto: Wolfgang Leyn)

Deutschfolk ist noch immer ein zartes Pflänzchen im Schatten kräftiger Bäume wie Irish Folk, Mittelalter-Marktmusik oder Balkan-Speedfolk, neben üppigem Buschwerk namens Bal Folk. Der Schwapp Wasser aus der (wieder sauberen) Oder hat ihm sicher gut getan. Mit der Gießkanne hantierte professionell und mit sympathischem Understatement, wie sonst beim Festival „Folk im Fluss“, Thomas Strauch. Ihm und seinen Mitstreitern und Mitstreiterinnen (Mitstreitende geht nicht!) sei hiermit herzlich gedankt, nicht zu vergessen der Profolk e. V., welcher mit dafür sorgte, dass die Kanne auch gefüllt war.

Wo wird 2023 die nächste Gießaktion stattfinden? Nach Thüringen und Brandenburg wäre nun eigentlich eines der sogenannten alten Bundesländer an der Reihe…

Frankfurter Festival-Foto-Impressionen:

Doc Fritz, Waldzither, aus Jena und Land Über aus Dresden: Benni Gerlach, Cello, und Karl Helbig, Saxophon (Foto: Wolfgang Leyn)

Die Trad Töchter aus Berlin: Ursula Suchanek und Vivien Zeller, von links (Foto: Wolfgang Leyn)

Waldzitherpunk aus Leipzig: Jens Paul Wollenberg, Peggy Luck, Toni Linke, Helene Déus, von links (Foto: Wolfgang Leyn)

Stefan Körbel und Silva Winkler aus Berlin (Foto: Wolfgang Leyn)

Tim Liebert, einer der Köpfe der DeutschFolk-Initiative, fühlte sich beim Festival offensichtlich wohl, hinten Thomas Strauch und Jörg "Ko" Kokott (Foto: Wolfgang Leyn)