25 Jahre folker - die ostdeutsche Vorgeschichte | 05.07.23

Von 1990 bis 1997 erschien in Leipzig das „FOLKSBLATT“, zuletzt in einer Auflage von 2.000 Exemplaren als überregionale Zeitschrift für Folklore und Volkstanz mit Autoren aus den alten wie neuen Bundesländern. Das erste Heft mit diesem Namen kam schon 1981 in Leipzig heraus, vier Jahre nach der „Folk-Michel“-Gründung in Bonn. Die kontinuierliche Herausgabe scheiterte 1984 zunächst an der DDR-Druckgenehmigungs-Praxis, sprich Zensur.

Das allererste LEIPZIGER FOLKSBLATT vom 16. Januar 1991
Das LEIPZIGER FOLKSBLATT war für die Werkstatt-Teilnehmer gedacht.

Das allererste „Leipziger Folksblatt“ erschien am 16. Januar 1981 während der 2. zentralen DDR-Folkwerkstatt - als tägliches Informationsblatt für die Teilnehmer, mit acht bzw. zwölf Seiten im Format DIN A4. Die Nummer 1 enthielt eine umfangreiche Bibliografie zum deutschen Volkslied, außerdem Porträts der zur Werkstatt eingeladenen Gruppen. Nummer 3 brachte u. a. eine Liste folkfreundlicher Veranstalter. Während der Folkwerkstatt 1982 erschienen dann nur zwei Nummern. Die dritte kam wegen des Eklats um die von den Werkstattteilnehmern einstudierte, doch dann verbotene Folkoper nicht zustande. Erhalten blieb lediglich das dafür vorgesehene Coverbild von Jürgen Wolff.

Ähnliche „Werkblätter“ kannte man von den zentralen Werkstattwochen der Singeklubs. Beim internationalen Festival des politischen Liedes in Berlin erschien täglich eine „Festivalzeitung“. Autoren, Fotografen, Redakteure und Gestalter arbeiteten ehrenamtlich. Zu ihnen gehörten u.a. Jürgen Wolff und Reinhard „Pfeffi“ Ständer.

Eigenes Periodikum aus der Szene für die Szene

Ab 1975 gab die Staatsjugendorganisation FDJ viermal im Jahr die „Singe“ heraus, kein Hochglanzmagazin, sondern ein Werkstattmaterial für die Singebewegung. Warum sollte nicht ein ähnliches Periodikum für die DDR-Folkszene möglich sein? Der 1984 frisch gegründete Folkklub Leipzig, größter und aktivster seiner Art im Lande, ergriff die Initiative - und erlebte erstmal eine glatte Bauchlandung.

Keine Druckgenehmigung für Heft eins

Das achtseitige „Leipziger Folksblatt“ Nr. 1/84 im Format DIN A5 (Redaktionsschluss 20.12.1983) wurde beschlagnahmt, wegen eines Interviews mit dem Meuselwitzer Liedermacher und Bandoneon-Spieler Dieter Kalka. Dieser galt den Sicherheitsorganen als „feindlich-negativ“. In der zensierten zweiten Variante (Redaktionsschluss 21.09.1984) wurde stattdessen eine LP der ungarischen Folkband Muzsikás besprochen. Außerdem brachte das Heft Rezensionen der Folkkonzerte beim Berliner Liedersommer, von Kinderveranstaltungen in Meißen und Leipzig sowie einen Erlebnisbericht über die später legendär gewordene erste Rudolstädter Folkloretour per Pferdewagen. Nicht zu vergessen: eine Betrachtung über den Kontrabass in der Folkszene.

Herausgegeben wurde das „Leipziger FOLKSBLATT“ vom Folkklub Leipzig. Das Impressum der zensierten ersten Ausgabe nennt Jürgen Wolff und Manfred Wagenbreth als Redakteure, dazu drei Mitarbeiter. Die zweite Ausgabe wurde von einer sechsköpfigen Redaktion erstellt, ergänzt um drei Mitarbeiter, darunter als Gestalterin Gabi Last (Lattke).

Erschienen und zensiert - Heft 1/84

Jahres- statt Quartalshefte

Ursprünglich sollte das Szeneblatt vierteljährlich erscheinen, Auflage 1.000 Stück, Preis eine Mark. Tatsächlich kam ab 1985 pro Jahr meist nur ein (dickeres) Heft im Format DIN A 5 zustande. Neben drei Tanzheften erschien 1986 ein Sonderheft der „LEIPZIGER Folksblätter“ zum zehnten Folkländer-Geburtstag. 1987 war ein „folksblätterloses“ Jahr. Ende 1988 fand sich eine neue Redaktion zusammen, darunter der spätere Chefredakteur Jürgen Brehme und folker-Autor Reinhard „Pfeffi“ Ständer. Bei diesem erneuten Anlauf kehrte man zum ursprünglichen Turnus und Themenspektrum zurück. 1989 erschienen drei Ausgaben, darunter ein Sonderheft zum internationalen Tanzhausfest in Leipzig.

Überführung in die Marktwirtschaft

Mit dem Heft 1/1990 endete die Herausgeberschaft durch das Leipziger Bezirkskabinett für Kulturarbeit, das bisher die Druckgenehmigung erteilt und den Druck finanziert hatte. Im Ergebnis der friedlichen Revolution war beides weggefallen: die Zensur, aber auch der Zuschuss. Als Herausgeber von Heft 2-4 firmierte der Folkklub Leipzig, später der Folksblatt-Verlag, schließlich der von Jürgen Brehme geleitete Verein Straßenmusikfestival e. V. Das Wort „Leipzig“ verschwand aus dem Titel. 1991 wurde ein Abo für sechs Ausgaben pro Jahr eingeführt.

Heft 1/90 gab es noch für DDR-Mark.

Aus zwei mach eins

Sieben Jahre später endete die Geschichte des ostdeutschen „Folksblatts“. 1998 fusionierte es mit der westdeutschen „Konkurrenz“, dem „Folk-Michel“, zum „Folker“. Die Auflage des „Folksblatts“ lag am Ende bei 2.000, die des „Folk-Michel“ etwas höher.

Das Folksblatt war mit seinen letzten Ausgaben im Jahr 1997 so gut wie nie zuvor: interessante Beiträge, eigener Stil im Layout, kontinuierlicher Zuwachs an Abonnenten und positive Resonanz aus der Leserschaft. Alles geschaffen durch die ehrenamtliche Arbeit der gesamten Mannschaft. Nur der Zeitfonds der Macher war überstrapaziert ... Im Rückblick ein Ende auf dem Höhepunkt und ein Aufbruch zu neuen Abenteuern.

Frank Jagusch, Ende 1997 u. a. Vertriebsleiter beim Folksblatt

Wie es zur Vereinigung kam, beschrieb „Folker“-Herausgeber Mike Kamp 2007 im Onlinemagazin FolkWorld so:

Das war ein absolut richtiger und logischer Schritt damals. Wir vom Michel haben zwar die Initiative ergriffen, aber Jürgen Brehme vom Folksblatt hatte bereits ähnliche Gedanken gehabt. Warum zweimal mehr oder weniger das gleiche machen, zumal beide Zeitschriften an der gleichen Sache krankten: ein fehlender Verlag. Wir haben dann alles zusammengeschmissen, wovon ein paar wenige Folksblatt-Mitarbeiter nicht sonderlich begeistert waren: Verlag in Moers, Redaktion in Bad Honnef, Layout in Witten, Anzeigen in Leipzig und Druck in der Tschechei. […]

Ich denke, es ist alles so fair und gleichberechtigt wie nur irgend möglich verlaufen. Zugestehen muss ich allerdings, dass ich die Fliehkräfte der Dezentralität unterschätzt habe. Viele informelle Kanäle blieben naturgemäß in Nordrhein-Westfalen, so dass sich der Jürgen im Osten manchmal und zu recht ausgeschlossen fühlte, was nie so gewollt war. Dass wir dennoch zusammengeblieben sind, hat sicherlich auch damit was zu tun, dass es trotz aller Unzulänglichkeiten menschlich ganz gut zwischen Jürgen und mir geklappt hat.

Mike Kamp, folker-Herausgeber

Und wie fällt Jürgen Brehmes Rückblick auf die Fusion der beiden Zeitschriften aus? Er schrieb 2015:

Natürlich gab es Bedauern ob des Endes, aber das Zusammenlegen erscheint mir heute immer noch als folgerichtiger Schritt des Zusammenwachsens von Zusammengehörigem. Es hat der Institution 'Magazin für Folk- und Weltmusik' einen Impuls gegeben, unter dem Namen "Folker" (heute ohne das Ausrufezeichen) trafen sich die Mitarbeiter beider Zeitschriften, die ohnehin schon bei beiden aus allen Teilen der BRD stammten.

Jürgen Brehme, Ex-Chefredakteur des Folksblatts

Nummer 3/97 war das letzte Heft.